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In-Game-Photography: Fotografie in Videospielen

Innerhalb dieses Artikels nähere ich mich verschiedenen philosophischen Betrachtungsweisen in der Aufnahme und Darstellung von virtuellen Räumen aus Videospielen in Form von Screenshots. Der einen oder anderen Person unter euch wird der Wortlaut vielleicht etwas zu sachlich sein, doch ich hoffe das mit den visuellen Beispielen ausgleichen zu können.

Ausschlaggebend für diese Recherche war mein Projekt mit dem bisherigen Arbeitstitel Screenplay, welches zu einem kleinen Teil auf meiner Webseite eingesehen werden kann.

In erster Linie interessierte mich der Umgang mit der Populärkultur als fotografisches Sujet, die Parallelen von Screenshots in Videospielen zur Fotografie der Realität, die Etablierung des Screenshots als eigenständige Kunstform, die Gegenüberstellung von Screenshots, die innerhalb eines Computersystems entstanden sind und Fotografien in Form von Reproduktionen des Monitors, als auch die Transkription von virtuellen Räumen in die Realität.

Die Gegebenheit, dass mit meiner Virtual Exhibition Fotografien der Realität in einem virtuellen Raum zugänglich gemacht wurden, beflügelten meinen Wunsch, umgekehrt, virtuellen Raum in der Realität zu präsentieren.

Definitionen

Mit Screenshots sind sowohl die Aufnahmen gemeint, die direkt innerhalb eines Computersystems erstellt werden, als auch Bildnisse eines Monitors, welche beispielsweise mit Zuhilfenahme einer Kamera realisiert werden. Beide Formen sind Abbildungen des Bildschirminhaltes und als Screenshot zu bezeichnen, auch wenn ich diese Begriffe im Verlauf wiederholt differenziert betrachten werde, um Missverständnisse zu vermeiden.

In fotografischen Texten wird die Form der Fotografie, die innerhalb von Computersystemen, beziehungsweise ohne Kamera und Objekt entstehen, sei es beispielsweise die Darstellung von virtuellen Räumen oder das Rendern eigener Szenen in 3D-Grafiksoftware, oft Post-Fotografie genannt.

Ich konzentriere mich ausschließlich auf die Darstellung von Videospielen, die bereits vorhandenen Raum bieten, welcher von jedem Menschen besucht werden kann. Umgangssprachlich wird hierbei von In-Game-Photography oder Virtual Photography gesprochen.

Ich werde den Begriff In-Game-Photography gebrauchen, da dieser auch reale Fotografien in Form von Reproduktionen des Monitors einschließt. Virtual Photography tut dies nicht und findet darüber hinaus nicht nur bei Videospielen, sondern auch bei 3D-Grafiksoftware Verwendung.

Nachtrag: In ihrer Ausstellung „Expect The Unexpected. Aktuelle Konzepte für Fotografie“ (2023) haben Barbara Scheuermann und Michael Reisch den Begriff „fotografiebasierte digitale Kunst“ verwendet. Diese Definition soll Prozeduren beschreiben, die entweder in enger Verwandtschaft zur Fotografie stehen oder für die ein einfaches Bezeichnen als Fotografie nicht mehr ausreicht.

Auftreten von Fotografie in Videospielen

Insgesamt kann meines Erachtens die überwiegende Mehrheit an Arbeiten im Bereich der In-Game-Photography keinen nennenswerten künstlerischen Anspruch erheben, doch es können einige ernsthafte Projekte gefunden werden, die meinen Standpunkt zur Etablierung als eigene Kunstform festigen.

Dem entgegengesetzt werden Screenshots aus Videospielen oft nachbearbeitet, um sie wie Fotografien aussehen zu lassen. Dabei werden physikalische Grenzen der Fotografie imitiert. Dazu zählen beispielsweise eine selektive Schärfe, chromatische Aberrationen, Schärfeabfall am Bildrand, Vignettierungen und Bildrauschen. Mir ist dabei aufgefallen, dass der Screenshot damit nicht als eigenständiges Medium zelebriert wird, sondern die Fotografie imitieren soll. Genau wie die Fotografie in ihren Anfängen die Malerei imitieren wollte (Piktorialismus), um als eigenständige Kunstform anerkannt zu werden.

Mittlerweile werden immer mehr Videospiele direkt mit einem sogenannten Fotomodus ausgestattet. Dabei wir das Spielgeschehen angehalten und es besteht meistens die Möglichkeit, verschiedene Einstellungen vorzunehmen, die an tatsächliche, physikalische Gesetze der Fotografie angelehnt sind, welche ich weiter oben bereits nannte. Manche Spiele bieten neben der vornehmlichen Mechanik eine virtuelle Kamera und machen damit das Fotografieren während des Spiels zu einer optionalen Tätigkeit. Bei sehr wenigen Spielen wird auf den Akt des Fotografierens als zentrales Spielprinzip zurückgegriffen.

Pokémon Snap © Nintendo 1999

Bei Pokémon Snap (Nintendo, 1999) und Afrika (Sony, 2008) ist der Sinn des Spiels zwar Fotografien anzufertigen, die Parameter, nach welchem diese vom Spiel bewertet werden, sind jedoch weitestgehend realitätsfern. In anderen Spielen, in denen der spielbare Charakter eine Fotografin oder ein Fotograf ist, beispielsweise in Life is Strange (Square Enix, 2015), in welchem die Anwender:innen in die Rolle der Fotografie Studentin Maxine schlüpfen, ist die Fotografie zwar Thema, doch nur als Nebensächlichkeit zu betrachten.

Im Titel Red Dead Redemption 2 (Rockstar Games, 2018) bei dem viele Landstriche unterschiedlicher Staaten in den USA nachempfunden wurden und ein sehr detailliert gestaltetes Nordamerika am Ende des 19. Jahrhunderts zum Leben erweckt wird, liegt ein wesentlicher Aspekt der Spielerfahrung im Erleben dieser virtuellen Welt. Der speziell vorhandene Fotomodus pausiert das Spiel und lässt der Spieler:in ihre Spielfigur in der Spielwelt abbilden oder als schwebende Kamera umherfliegen, mit welcher z. B. der Bildausschnitt und der Bildwinkel eingestellt werden kann. Ebenfalls besteht die Option, verschiedene Filter anzuwenden, welche an historische Aufnahmeverfahren angelegt sind. Auch an eine selektive Schärfe wurde gedacht. Dieser Fotomodus wurde allerdings erst später und auf Wunsch vieler Spieler:innen hinzugefügt, was die Bedeutung der In-Game-Fotografie innerhalb der Szene verdeutlicht. Während der originalen Handlung von Red Dead Redemption 2 erhalten die Spielenden eine Boxkamera, welche an die Kodak No.1 (“You press the button, we do the rest”) angelehnt ist. Damit kann die Spielerin oder der Spieler innerhalb der Welt fotografieren. Bevor der Fotomodus eingeführt wurde war dies die einzige vom Spiel ermöglichte Art der Fotografie. Die Kamera muss dabei als Ausrüstungsgegenstand aktiv ausgewählt werden, was die Möglichkeiten innerhalb des Spiels stark einschränkt und die Konzentration ganz auf der Fotografie legt. Von diesen Bildern können insgesamt 100 online gespeichert und ausgestellt werden. Auch das ist ein Bezug auf die Kodak No.1, deren Rollfilm Platz für 100 Aufnahmen bot.

Der Fotomodus in Red Dead Redemption 2, Rockstar Games 2018

Das Spiel theHunter: Call of the Wild (Avalanche Studios, 2017), ist in erster Linie eine Jagdsimulation. Dargestellt sind verschiedene Jagdreviere rund um den Globus. Die Mechanik des Spiels besteht hauptsächlich darin verschiedene kurzweilige Aufgabestellungen abzuarbeiten. Meistens bestehen diese Aufgaben darin, ausgewählte Tiere an bestimmten Orten oder mit einer bestimmten Waffengattung zu erlegen. Durch das Abschließen dieser Aufträge generiert die Spieler:in virtuelles Geld, mithilfe dessen neue Ausrüstung erworben werden kann. Im Spiel gibt es jedoch auch eine Kamera, die fester Bestandteil der Ausrüstung ist. Diese kann zu jeder Zeit ausgerüstet werden und es können damit Fotos innerhalb der Spielwelt angefertigt werden. Diese gehen von ihrer Umsetzung jedoch nicht über das Niveau eines Screenshots ohne Interface hinaus. Allerdings gibt es einige Aufträge bei theHunter, die sich ausschließlich um das Fotografieren von bestimmten Objekten oder Tieren drehen. In der Regel muss dabei jedoch nur beachtet werden, dass sich das Motiv im Bildwinkel aufhält und eine bestimmte Distanz nicht überschritten wird, um die Aufgabe erfolgreich abzuschließen.

Umurangi Generation, ORIGAME DIGITAL 2020

Umurangi Generation (ORIGAME DIGITAL, 2020) lässt die Spielerin oder den Spieler eine Reihe fotografischer Aufgaben erfüllen, die auf verschiedene Schauplätze aufgeteilt sind. Beim Erfüllen dieser Aufgaben kann neue Ausrüstung freigeschaltet werden, die bei der Erfüllung weiterer Aufgaben benötigt wird. Das Werk nutzt ebenso das künstlerische Potenzial von Videospielen aus. Der grafische Stil ist an ältere Videospiele angelehnt und hat damit einen ganz besonderen Charme. Außerdem wird über die verschiedenen Schauplätze und den darin zu findenden Details, sehr subtil, eine Welt vorgestellt, die sich nicht nur in einem Krieg befindet, sondern auch der Zerstörung des Menschen unumgänglich ausgeliefert ist. Das bedeutet, dass die Geschichte nur gegenständlich erzählt wird und nicht etwa über Sprache oder Darbietungen, was durch die Fotografie als Kernmechanik der Erkundung ideal funktioniert.

Einige Entwickler nutzen das Interesse an der In-Game-Photography, indem sie Wettbewerbe zu ihren Spielen veranstalten, daraus Aufmerksamkeit generieren und aus dem folglich entstandenen Material später Bücher oder Kalender editieren. Im Einzelfall gibt es virtuelle Ausstellungen innerhalb von Videospielen.

Eigene Untersuchungen

Meiner Meinung nach ist der Screenshot aus einem Videospiel am ehesten mit der Fotografie verwand. Die In-Game-Photography greift auf viele Aspekte der Fotografie zurück, auch wenn in der Vergangenheit von einigen Dozent:innen und Kunsthistoriker:innen die künstlerische Eigenleistung dahinter infrage gestellt wurde.

Ich vergleiche die In-Game-Photography gerne mit der Fotografie im Stadtraum oder mit der Architekturfotografie. Dabei bewegen sich Fotografierende wie innerhalb eines Videospiels, in einer Umgebung, die von Menschen gestaltet und konstruiert wurde und realisieren dort ihre Bildnisse der Umgebung. Diese Orte können theoretisch von jeder Person beliebig oft besucht werden.

Wie bei der Fotografie sind bei der In-Game-Photography bereits bestehende Gegenstände nötig. Im Gegensatz zur Malerei, bei der eine eigene Realität erzeugt wird, wird bei der Fotografie ein subjektives, meist zweidimensionales Abbild der Realität erzeugt, welches theoretisch jede Person gleichermaßen wahrnehmen und damit auch fotografieren könnte. Das ist ebenso bei der Darstellung von virtuellen Räumen in Videospielen ein wesentlicher Aspekt.

Der Screenshot ist jedoch, im Gegensatz zu einer Fotografie, nicht an physikalische Gesetze gebunden, welche die Darstellung beeinträchtigen und filtern. Der Screenshot ist somit ein ideales, ungefiltertes, zweidimensionales Abbild des virtuellen Raumes und näher an der virtuellen Realität als es eine Fotografie der Realität jemals sein kann.

Dabei stellte sich mir die Frage, ob unsere Wahrnehmung des virtuellen Raumes, welcher sich uns immer über ein Display manifestiert, eher mit der Reproduktion des Displays oder mit einem reinen Screenshot erreicht werden kann. In der Regel wird die Barriere des Monitors bei der Betrachtung ausgeblendet und somit sollte der Screenshot, der innerhalb des Computersystems entsteht, näher an dem liegen, was wir während der Aufnahme wahrnehmen.

Für mich als Künstler ist es wichtig, die Stärken eines Mediums, vor allem in seiner allgemeinen Wahrnehmung, zu erarbeiten und diese zu nutzen. Aus diesem Grund finde es für die Bebilderung meiner Untersuchungen erstrebenswert, den Screenshot als eigenständiges Medium einzusetzen und diesem zusätzlich klassische Fotografien gegenüberzustellen, die mit einer Kamera angefertigt wurden. Diese Fotografien beinhalten unumgänglich den Monitor als Barriere zur virtuellen Welt, als auch die Visualisierung ihrer physikalischen Attribute. Somit ist die Bandbreite meiner Arbeit, egal wie sie nun definiert wird, immer eine fotografische.

Kernaspekt der Fotografie ist unbestreitbar die allgemeine Wahrnehmung, dass das Fotografierte, im Moment der Aufnahme, tatsächlich so stattgefunden hat, beziehungsweise existierte. Selbstverständlich gibt es hinsichtlich dieses Sachverhaltes viele Grauzonen, auf die ich hier nicht weiter eingehen werde, doch wenn dem grundsätzlich nicht so wäre, würden ganze Genres der Fotografie nicht funktionieren, wie beispielsweise der Bildjournalismus oder die Streetphotography. Das bedeutet, dass eine Fotografie immer nur einen Augenblick in der Zeit festhält. Sie ist ein Zeitzeugnis, eine Offenbarung des Lebendigen, als auch die unausweichliche Erinnerung an die Vergänglichkeit allen Daseins. Jede fotografierte Szene ist unwiederbringlich. Jede Landschaft, jedes Gebäude und jeder Mensch sind stetig im Wandel und dem Verfall ausgesetzt.

Videospiele sind in den allermeisten Fällen keinen Veränderungen ausgesetzt. Es bedarf keiner Screenshots, um einen virtuellen Ort in seiner Form festzuhalten, für gewöhnlich kann dieser immer wieder in originaler Form besichtigt werden, er muss nicht in Form von Bildnissen konserviert werden. Auch der Zufallsaspekt spielt eine wesentlich untergeordnete Rolle. Es gibt Videospiele, die beispielsweise zufällige Konstellationen von Objekten im Raum zulassen, als auch ganze zufällig generierte Areale, doch hier kann nicht von einem Umfang an Umständen gesprochen werden, wie sie in der Realität vorkommen.

Anders sieht das bei Videospielen aus, die ihren virtuellen Raum mehreren Spielenden gleichzeitig zu Verfügung stellen. Bei solchen Onlinespielen gibt es bei Weitem mehr zufällige Situationen, da Menschen in der Regel individueller handeln, als vom Computer gesteuerte Objekte. Der virtuelle Raum wird dabei oft online zur Verfügung gestellt und von Entwicklern entweder regelmäßig verändert oder irgendwann vom Netz genommen. Einige Onlinespiele bieten Spielerinnen und Spielern sogar die Möglichkeit, den virtuellen Raum individuell umzugestalten. All diese Aspekte beinhalten unwiederbringliche Situationen, Räume im Wandel oder komplett verschwundene Welten.

Bei diesen Erläuterungen wird deutlich, dass das Ausmaß an künstlerischer Eigenleistung und die Komplexität des Mediums Screenshot, nicht nur von den Fähigkeiten des Autoren oder der Autorin abhängig ist, sondern auch von der Wahl des Videospiels. Wie oben genannt, stellen Videospiele unterschiedliche Grade an situativem Potenzial zur Verfügung. Es gibt Spiele, die besonders große Welten mit einem Tag-Nacht-Zyklus sowie wechselndem Wetter in Szene setzen. Andere treten in kleinen, schlauchartigen Leveln in immer derselben Inszenierung auf. Je mehr eigene Entscheidungen der Spieler:innen innerhalb des Videospiels getroffen werden können, je komplexer die Welt und die Navigation in dieser aufgebaut ist, umso größer ist das künstlerische Potenzial für die Fotografin oder den Fotografen.

Künstlervorstellung

Im folgenden Abschnitt werde ich drei Fotografen/Künstler vorstellen, auf die ich während meiner Recherche gestoßen bin und die das Videospiel und den Screenshot auf unterschiedliche Weisen nutzen, um ihre konzeptionellen Arbeiten zu realisieren. Ihre Untersuchungen waren für mich eine Quelle inspirierender Gedanken. Nicht nur für meine eigenen Arbeiten, sondern auch für die Erarbeitung meiner philosophischen Standpunkte, die ich sogar in persönlichen Gesprächen mit ihnen festigen konnte.

Vorerst sind die jeweiligen Bildserien auf den Webseiten der Künstler zu finden, die ich hier am Anfang der jeweiligen Beschreibung verlinkt habe. Ich habe mir bisher nur die Erlaubnis eingeholt, die Arbeiten innerhalb eines Buches zu veröffentlichen. Eine Genehmigung für einen Blogeintrag habe ich mir noch nicht eingeholt.

Benoit Paillé

Benoit Paillé, blickt auf ein umfangreiches Portfolio verschiedenster Formate zurück. Überwiegend würde man ihn als Fotografen bezeichnen. Er selbst schreibt über sich, dass er sich wie ein Maler mit einer 8×10 Kamera fühlt, die 8×10 Kamera jedoch weitaus kompakter (und digital) ist. Immer wieder ist digitale Bildmanipulation Teil seiner Arbeit, die ich als zeitgenössischen Surrealismus bezeichnen würde. Dabei treffen klassische Elemente des Surrealismus auf moderne fotografische Ausdrucksweisen.

Hier möchte ich seine Serie »CROSSROAD OF REALITIES« vorstellen, die zeigen soll, dass virtueller Raum für die ernsthafte konzeptionelle Fotografie verwendet werden kann und dass dies einem ebenso aufmerksamen Auge bedarf, wie die Fotografie der Realität. Für CROSSROAD OF REALITIES hat Benoit Paillé verschiedene Screenshots des Spiels Grand Theft Auto V (Rockstar Games, 2013) angefertigt, diese auf einen Hintergrund im Studio projiziert und eine Person mit Aufnahmegerät so davor platziert, als würde diese eine Fotografie der virtuellen Szenerie anfertigen. Die Beleuchtung des realen Anteils seiner Kompositionen hat er der Szene des Videospiels nachempfunden. Damit verschmelzen virtueller Raum und die realen Objekte miteinander und bringen beide Welten, in ihrer Wechselwirkung, auf eine gleichwertige Ebene.

Kent Sheely

Kent Sheely beschreibt sich als hauptsächlich als digitalen Künstler. In seinem Portfolio finden sich eine Vielzahl unterschiedlicher Projekte, die entweder mithilfe von Videospielen oder 3D-Grafikprogrammen realisiert wurden. Außerdem konstruierte er einige konzeptionelle Objekte, die Beziehungen zu Videospielen aufbauen und in der Regel Teil von Ausstellungsinstallationen waren.

An dieser Stelle möchte ich zwei Serien vorstellen, die von mir bisher ungenannte Aspekte der Videospielfotografie erläutern, nämlich die Nachstellung von Fotografien der realen Welt bzw. die Adaption fotografischer Sehgewohnheiten und Stilmittel historischer Lichtbilder in Videospielen.

In der Serie »World War II Redux« stellt Kent Sheely historische Aufnahmen des Zweiten Weltkrieges mithilfe des Videospiels Day of Defeat: Source (Valve, 2005) nach.

Im Zuge der Serie »DoD« adaptiert Kent Sheely den fotografischen Stil von Robert Capas Aufnahmen des Zweiten Weltkrieges und wendet diesen auf seine Dokumentation von Spielverläufen in Day of Defeat: Source an. Dabei hat er sich nicht für die Rolle des kämpfenden Soldaten entschieden, sondern absichtlich für die eines passiven Beobachters, welche nicht vom Spiel vorgesehen ist. Dabei versuchte er am Leben zu bleiben und dennoch eindrucksvolle Aufnahmen verschiedener Situationen zu realisieren.

Um den Effekt alter Schwarzweißfotografien zu erzeugen, hat Kent Sheely die Aufnahmen mit einem Bildbearbeitungsprogramm nachbearbeitet.

Eron Rauch

Eron Rauch hat ein klassisches Studium der Fotografie am California Institute of the Arts abgeschlossen, unterrichtet nun Fotografie und arbeitet als Autor in der Videospielindustrie. Seine fotografischen Anfänge bestanden aus klassischen Landschaftsfotografien mit einer Großformatkamera. Während seines Studiums hat er bereits ernsthafte Arbeiten mithilfe der In-Game-Photography realisiert, Ausstellungen im virtuellen Raum abgehalten und In-Game-Photography in der Realität ausgestellt.

»A Land to Die In« (2005-2007) ist eine Sammlung von gut komponierten Screenshots, die Leichname innerhalb des Videospiels World of Warcraft (2005) darstellen. World of Warcraft ist ein Onlinerollenspiel, bei welchem eine Vielzahl von Spieler:innen gleichzeitig auf einer großen virtuellen Welt unterwegs sind. Dabei müssen sie eine ganze Reihe an Aufgaben erfüllen und computergesteuerte Gegner besiegen, was ihnen zur Belohnung Gold, Ausrüstung und Erfahrungspunkte einbringt. Mit Erfahrungspunkten steigen die virtuellen Charaktere im Level auf, was sie stärker macht. Unter anderem ist es ein Ziel des Spiels, seinen Rollenspielcharakter so bis zum maximalen Level zu erheben. Für die Serie A Land to Die in hat Eron Rauch alle gefallen Mitspieler:innen festgehalten, die er bis zum Erreichen des Maximallevels entdeckt hat. Final hat er diese Screenshots, die nach fotografischen Maßstäben komponiert sind, in Collagen zusammengestellt und mittels großformatiger Drucken präsentiert. Diese Serie unterstreicht den zufälligen Aspekt von Konstellationen im virtuellen Raum. Der Ort, an dem der Leichnam liegt, wie dieser aussieht und welche Ausrüstung er trägt, ist rein zufällig. Damit kommen bereits viele Variationen zustande, welche diese Arbeit auf eine höhere Ebene der Dokumentation stuft.

»Glitchscapes« (2007) kombiniert fehlerhaften Darstellungen innerhalb des Spiels World of Warcraft, deren Ursprünge in einer defekten Grafikkarte liegen. Diese mosaikartigen Verschachtelungen sehen höchst künstlich und zum Teil sehr ästhetisch aus, obwohl diese rein zufällig generiert sind. Auch mit dieser Serie wird der Zufall als Umstand bei der In-Game-Photography verdeutlicht.

»Travels: A Photographic Landscape Show« (2005-2010) beinhaltet eine Reihe von Fotografien aus dem Spiel World of Warcraft, die von klassische Landschaftsfotografien des 19. Jahrhunderts inspiriert wurden. So wie die von Timothy O’Sullivan oder William Henry Jackson. Außerdem werden Ausstellungen, die Eron Rauch zwischen 2005 und 2010 abgehalten hat, Teil des Projektes. Es sind Screenshots einer virtuellen Ausstellung aus dem Videospiel Second Life dabei, die Arbeiten von Eron präsentiert, welche er ebenfalls in Videospielen aufgenommen hat. Second Life (Linden Lab, 2003) ist ein Onlinespiel, bei dem virtueller Raum angemietet werden kann, der von den Spielerinnen und Spielern im Anschluss frei gestaltet werden kann und der zusätzlich für Besucher offensteht. Dazu beinhaltet Travels: A Photographic Landscape Show Ausstellungen, die in der Realität stattgefunden haben und Aufnahmen von virtuellen Räumen zeigen. Die Drucke der Screenshots sind dabei teilweise Cyanotypien nachempfunden. Somit wird bei dieser Arbeit der Kreis geschlossen und die gegenseitige Befruchtung beider Welten zur Schau gestellt. Darüber hinaus finde ich es erstaunlich, dass die klassischen Werte der Fotografie ebenso in der Darstellung von virtuellen Welten und Räumen Verwendung finden, was die nahe Verwandtschaft mehr als deutlich macht.

Kersten

Quellen / Empfehlungen:

Künstler:
Benoit Paillé gbuffer.myportfolio.com
Kent Sheely kentsheely.com
Eron Rauch eronrauch.com

Erwähnte Videospiele:
Half-Life 2 (Valve, 2004)
Virtual Exhibition (Kersten Glaser, 2020)
Pokémon Snap (Nintendo, 1999)
Afrika (Sony, 2008)
Life is Strange (Square Enix, 2015)
Red Dead Redemption 2 (Rockstar Games, 2018)
theHunter: Call of the Wild (Avalanche Studios, 2017)
Umurangi Generation (ORIGAME DIGITAL, 2020)
Grand Theft Auto V (Rockstar Games, 2013)
Day of Defeat: Source (Valve, 2005)
World of Warcraft (Blizzard Entertainment, 2004)
Second Life (Linden Lab, 2003)

darktaxa-project: www.darktaxa-project.net

Inspirierende Texte:
Geschichte der Fotografie (Wolfgang Kemp, 2011)
Die helle Kammer: Bemerkungen zur Photographie (Roland Barthes, 1989)
Über Fotografie (Susan Sontag, 1977)

Diesen Artikel über In-Game-Photography habe ich am 16. Oktober 2022 erstmals ohne Bildmaterial auf meiner Webseite als PDF zur Verfügung gestellt. Seit dem habe ich, in unregelmäßigen Abständen, ein paar Fehler korrigiert, Formulierungen angepasst und die hier vorgestellten Arbeiten mit den dazugehörigen Bilddaten ergänzt. Die originale Datei kann hier eingesehen und heruntergeladen werden.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich erwähnen, dass ich Bildwerke, die in diesem Artikel als Anschauungsmaterial bzw. Bildzitat zu Bildungszwecken präsentiert werden und welche nicht meinem geistigen Eigentum unterliegen, den rechtmäßigen Urheberinnen und Urhebern, innerhalb der Bildbeschreibung und im Dateinamen, des jeweiligen Werkes, in jedem Fall, zugeordnet und keine Veränderung daran vorgenommen habe.

Für die Erstellung meiner Texte bin ich selbst verantwortlich. Ich nutze künstliche Intelligenz lediglich für Recherchen, zur Reflexion und als Korrektorat. Das ist mir wichtig, da ich mit den Texten auch einen Teil meiner Persönlichkeit zum Ausdruck bringen möchte. So gut ich versuche meine Artikel auf Basis fundierter Sachlagen aufzubauen, kann ich nicht uneingeschränkt für die allgemeine Gültigkeit meiner Aussagen bürgen. Zudem spiegelt manches von dem hier veröffentlichten meine persönliche Ansicht wider, was ich jedoch deutlich zu markieren versuche, sofern der Fall innerhalb einer meiner Publikationen eintritt. Diese subjektive Perspektive kann sich im Laufe der Zeit ändern und muss nicht zwangsläufig meiner aktuellen Meinung entsprechen.

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